Fakten
Warum inklusives Klettern wichtig ist – und wie WIRklettern den Zugang in der Schweiz verbessert.
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In der Schweiz leben rund 1,9 Mio. Menschen mit Behinderung (ca. 22 % der Bevölkerung).
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Rund 7 % der Behinderungen sind sichtbar (ca. 133’000 Personen).
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Rund 500’000 Menschen sind schwer beeinträchtigt, darunter 8’000 Kinder bis 14 Jahre.
Für einen inklusiven Einstieg in die Kletterwand
In der Schweiz leben rund 1,9 Mio. Menschen mit Behinderung. Dies entspricht in etwa einer Menschenkette einmal rund um die Schweizer Grenze. Rund 22 Prozent der Gesamtbevölkerung haben Behinderungen. 7 Prozent der Behinderungen sind sichtbar, also bei 133'000 Bürger*innen. 500'000 Personen sind schwer beeinträchtigt, darunter 8'000 Kinder bis 14 Jahre. Die Zahl der Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren ist nicht veröffentlicht.
Der Förderverein «WIRklettern»
setzt sich dafür ein, dass Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam klettern können. So soll das Modell des Vorzeigeprojekts in Root auch in anderen Kletterhallen umgesetzt werden. Das Projekt wird seit 2024 vom Kanton Luzern finanziell unterstützt. Der Kanton Zürich fördert neu das Projekt «Inklusion im Klettersport» in den Zürcher Kletter- und Boulderhallen. Weitere Kantone haben ihr Interesse angemeldet. In der Schweiz gibt es rund 100 Kletter- und Boulderhallen.
Im Sport ist der Handlungsbedarf riesig, wie der Inklusionsindex 2023 von Pro Infirmis zeigt: «Während zwei von fünf Menschen sich beim Besuch von sportlichen Veranstaltungen eingeschränkt fühlen, ist es die Hälfte, die sich bei der Teilnahme an sportlichen Aktivitäten eingeschränkt fühlt.»
32 % bis 50 % der Befragten stossen auf bauliche Barrieren, wenn sie Sport ausüben wollen.
https://www.proinfirmis.ch/ueber-uns/inklusionsindex.html
Inklusion im Sport fördert den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Das zeigt die Vielfaltsinitiative im Auftrag von Migros Engagement, durchgeführt vom Gottlieb Duttweiler Institut GDI. Diese Tätigkeiten machen die Freundes- und Bekanntenkreise vielfältiger Grafik Seite 68)
Kurs besuchen um 63 %, Sport treiben um 60 %. Seite 68: https://engagement.migros.ch/de/vielfalt/studie
Gemäss UN-BRK steht Menschen mit Behinderungen der Zugang zu sportlichen Aktivitäten uneingeschränkt zu. Die Schweiz hat das Abkommen 2014 unterzeichnet. Doch kam der Schweizerische Nationalfonds im Oktober 2024 zum Schluss: Die Schweiz habe zwar im Jahr 2014 das UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (BRK) unterzeichnet. Doch die Umsetzungen seien von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich: «Das Spektrum reicht von revidierten Kantonsverfassungen über neue Gesetze bis zum vollständigen Fehlen von rechtlichen Anpassungen.»
Uno-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK)
Art. 1 Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.» Seite 11 21
Art.30, 5 «Mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Massnahmen: a) um Menschen mit Behinderungen zu ermutigen, so umfassend wie möglich an breitensportlichen Aktivitäten auf allen Ebenen teilzunehmen, und ihre Teilnahme zu fördern; b) um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, behinderungsspezifische Sport- und Erholungsaktivitäten zu organisieren, zu entwickeln und an solchen teilzunehmen, und zu diesem Zweck die Bereitstellung eines geeigneten Angebots an Anleitung, Training und Ressourcen auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen zu fördern; c) um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu Sport-, Erholungs- und Tourismusstätten haben; d) um sicherzustellen, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern an Spiel-, Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten teilnehmen können, einschliesslich im schulischen Bereich; e) um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu Dienstleistungen der Organisatoren von Erholungs-, Tourismus-, Freizeit- und Sportaktivitäten haben.» Seite 1139ff
https://insieme.ch/wp-inside/uploads/2021/03/uno-brk-vertragstext.pdf
Vorzeigeprojekt und Modell: Paraclimbing in der Kletterhalle PILATUS INDOOR
Die Entwicklung und Etablierung des Paraclimbing-Angebots bei PILATUS INDOOR ist eine Erfolgsgeschichte, die von Engagement, Offenheit und dem Willen zur Inklusion geprägt ist. Initiantin Caro Käser wurde im Kletterkurs durch die Erfahrung mit einem Kind sensibilisiert.
Der Junge zeigte sehr gute Ergebnisse, doch liess er sich nur schwer in die Gruppe integrieren. Später erfuhr sie, dass er an einer Autismus-Spektrum-Störung litt. Seit dieser Erfahrung fragte sie sich, wie sie den Klettersport für alle zugänglich machen kann.
Persönliche Erfahrungen und vielfältige Aus- und Weiterbildungen
Caro Käser hat schon als kleines Mädchen ihren Vater und seine Kollegen zum Klettern an den Felsen begleitet. Sie liebte es, die Freiheit zu spüren und die spannenden Bewegungen auszuprobieren.
Die Möglichkeit, ihren Beruf als Biomedizinische Analytikerin an den Nagel zu hängen und sich vollständig dem Klettersport zu widmen, war ein Wendepunkt. Sie absolvierte die Kursleiterausbildung und ist heute VSBK-Kletterinstruktorin sowie VSBK-Ausbildungsverantwortliche. Zusätzlich machte sie die Ausbildung zur Behindertensportleiterin bei PluSport.
Das Fachwissen ermöglicht es ihr, Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen den Zugang zum Klettersport zu erleichtern. Ihre Neugier für alternative und innovative Ansätze führte sie schliesslich zur Ausbildung als Evolutionspädagogin. Dieses Wissen lässt sie heute in den Kletterunterricht einfliessen und gestaltet so ein ganzheitliches, individuelles Lernerlebnis für alle ihre Teilnehmenden – für Kinder wie auch für Erwachsene aller Altersgruppen, mit und ohne Behinderung. Sie ist zudem Co-Autorin eines Lehrmittels zum Thema Klettern, das in Zusammenarbeit mit PluSport entstanden ist.
2016 signalisierte die Kletterhalle in Root ihre Bereitschaft für ein Angebot, das sich an Menschen mit Behinderungen richtet. Caro Käser durfte ein Konzept entwickeln. Doch da sie keine Menschen mit Behinderungen kannte, war die Kooperation mit PluSport ein entscheidender Meilenstein. Bereits 2014 hatte PluSport ein Kletterprojekt ins Leben gerufen, das Caro Käser ab 2017 als Projektleiterin von «Klettern für alle» massgeblich weiterentwickeln durfte.
«Alle Vereine, alle Regionen, alle Gemeinden sollten sich mit Inklusion auseinandersetzen»
Interview mit Roman Pechous, Inklusionsbeauftragter des Kantons Luzern
Was heisst Inklusion im Sport aus der Sicht des Kantons?
Im Kanton Luzern haben wir zuerst geschaut: Wo stehen wir überhaupt? Was ist der Status quo? Wo wollen wir hin? Und wie sieht der Weg dorthin aus? Wir haben fünf Handlungsfelder definiert und entsprechende Massnahmen definiert, die nun schrittweise umgesetzt werden. Wir können jetzt schon sagen, dass das Netzwerk die wichtigste Rolle spielt.
Was fasziniert Sie am Sport?
Die Niederschwelligkeit. Ich glaube, die Inklusion kann man im Sport sehr viel einfacher leben als zum Beispiel im Arbeitsmarkt oder vielleicht sogar in der Kultur. Der Sport hat eine Sprache, die schnell verständlich und einfach zu handhaben ist, auch im Breitensport. Spannend finde ich auch, dass Luzern als erster Kanton solch eine Stelle geschaffen hat und eine gewisse Vorreiterrolle spielen kann. Inklusion beginnt im Kopf. Wenn man Inklusion will, gibt es immer einen Weg.
Wie lässt sich mehr Inklusion im Sport erreichen?
Wir haben 1’300 Vereine im Kanton Luzern und 79 Gemeinden. Von der Gesellschaft gibt es eine gewisse moralische Pflicht. Das ist für uns entscheidend. Das Ziel ist, Inklusion immer mitzudenken. Das Mitdenken, schon von Anfang an, bei einer neuen Sportanlage zum Beispiel, ist viel einfacher, als im Nachgang zu sagen, was man ändern muss.
Wo sehen Sie die Hindernisse?
Wir haben eine gewisse Parallelwelt in der Schweiz. Man begegnet Menschen mit Behinderung sehr selten. Und da spreche ich von den sichtbaren Behinderungen. Die Menschen mit Behinderung leben in einer Bubble in unserem Kanton Luzern. Wir haben ein paar grosse Institutionen. Die Menschen mit Behinderung können dort alles. Sie leben dort, essen dort, treiben Sport dort, arbeiten dort. Sie können die gesamte Freizeit dort verbringen. Sie gehen in Lager, nehmen an Wochenendausflügen teil. Doch sie kommen kaum in Kontakt mit Menschen ohne Behinderung. Und umgekehrt auch. Das sind nicht optimale Bedingungen für Sensibilisierung für mehr Inklusion.
Wo sehen Sie die Lösungen?
Ich möchte, dass alle Vereine, alle Regionen, alle Gemeinden sich mit Inklusion auseinandersetzen. Zuerst in einem Vorstand, vielleicht an einer GV. Das ist die Erwartung von uns an unsere Vereine. Nicht nur, weil wir sie finanzieren würden, wenn sie das Training oder Wettkämpfe anbieten. Aber weil das auch eines unserer Schwerpunktthemen ist.
Wie kann Sensibilisierung stattfinden?
Inklusion ist immer ein Weg, den man auf beiden Seiten beschreitet. Wir versuchen, die Menschen ohne Behinderung zu sensibilisieren. Man muss genauso die Menschen mit Behinderung und die Institutionen sensibilisieren. Die letzteren können etwa ihre Sporthallen oder ihr Schwimmbad öffnen; sie können ihre Bewohner, Bewohnerinnen animieren, rauszugehen in die Regelsportstrukturen.
Wie nehmen Sie das Projekt «Inklusion beim Klettern» wahr?
Caro Käser verfolgt in der Kletterhalle PILATUS INDOOR inklusives Klettern im Kanton Luzern. Für uns wäre es natürlich das Schönste, wenn das Beispiel Schule machen würde. Und wir, im Kanton Luzern oder ausserhalb, alle Kletter- und Boulderhallen zur Nachahmung animieren könnten.
Caro Käser entwickelt das Projekt ständig weiter. Ich denke, das ist ganz wichtig. Am Beispiel des Klettersports können wir beobachten, wie Inklusion funktionieren kann. Das Projekt ist ein Aushängeschild.»
Roman Pechous
ist seit Januar 2023 Beauftragter für Inklusion im Sport im Kanton Luzern. Die neu geschaffene Stelle ist die erste dieser Art in einem Kanton. Roman Pechous ist seit rund 25 Jahren im Behindertensport tätig, vor allem im Gehörlosen-Sport. Er verfügt über umfassende Erfahrungen in verschiedenen Funktionen, auch auf nationaler Ebene.